ST.PAULI CODE
1. UNTERSCHIEDLICHKEIT STATT HOMOGENITÄT
St. Pauli ist ein Quartier, das sich durch unterschiedliche Lebensentwürfe, kulturelle Hintergründe, Gender-Orientierungen oder erotische Vorlieben, die vom Mainstream abweichen, auszeichnet. Dies tritt häufig auch sehr deutlich, symbolhaft und drastisch hervor, bestimmt Straßenzüge, Lokale und Fassaden – ganz anders als in der sonst diskret auftretenden Hansestadt.
2. KLEINTEILIGKEIT
Kleinteiligkeit ermöglicht, dass solche unterschiedlichen Läden, Lokale und Begegnungsräume entstehen und trotz Widersprüchlichkeit dicht nebeneinander liegen, sich stapeln und miteinander kommunizieren.
3. GÜNSTIG STATT TEUER
Bis vor kurzem war St. Pauli der ärmste Stadtteil im Westen der Bundesrepublik. St. Pauli ist immer noch einer der ganz wenigen Stadtteile Hamburgs, wo sich unterschiedlichste Klassen begegnen – weil auch die Leute mit weniger Geld hier ausgehen – und wohnen. Auch die kulturelle Vielfalt konnte hier aufgrund günstiger Mieten für Läden und Wohnungen entstehen, durch die rasant steigenden Mieten ist dieses Gleichgewicht gefährdet. Das Viertel hat dadurch nicht nur Bewohner_innen verloren, sondern auch an Originalität.
4. ORIGINALITÄT UND TOLERANZ
Persönlich geprägte Läden, hier Gewachsenes, Originales soll in die neuen Gebäude zurückkehren. Das gleiche gilt für die ehemaligen Mieter_innen der Wohnungen, wie auch für Leute, die aus St. Pauli verdrängt werden. Genau das, was die Reeperbahn und den Kiez einst auszeichnete, verschwindet heute zusehends. Die Abweichung wird trivialisiert aufgeführt, aber seltener gelebt als früher.
5. ANEIGNUNG UND LEBENDIGKEIT
Gefragt sind schmuddeliger Glamour und Lebendigkeit: Angeeignete, plakatierte oder getaggte Wände, ein durch die Praxis der Bewohner_innen und Ladenbesitzer_innen geprägter Außenauftritt – statt designter Hochglanzfassaden. Die bisherige Investorenarchitektur der letzten 10 – 20 Jahre hat es nicht geschafft, dass „St. Pauli“ sich in diesen Gebäuden fortsetzt. Gefragt ist deswegen kein Retortendesign – sondern lebendiger Ausdruck.
6. EXPERIMENT UND SUBKULTUR
Die Reeperbahn kriegt schlechte Noten von den St. Paulianer_innen – zu vorformatiert, überraschungslos und eingeschränkt ist das Vergnügen. Direkt an der Reeperbahn fehlen Orte, an denen Kultur nicht nur aufgeführt – sondern neu erfunden wird. Experimente, Subkultur und Kulturproduktion statt einer vorgefertigten Trivialkultur sind gewünscht.
7. FREIRAUM OHNE KONSUMZWANG
Neben diesen Experimenten werden auch öffentliche Orte gefordert, die zu Orten des Gemeinsamen, der Begegnung, des Austauschs und der Interaktion werden können ohne dass diese durch Konsumzwang eingeschränkt werden. Orte, an denen nichts „geboten“ wird außer hohe Aufenthaltsqualität und eine anregende Umgebung sowohl für die Nachbarschaft wie auch die Besucher_innen.
1. WOHNEN
Gewünscht wird viel und bezahlbarer Wohnraum. Daher soll eine maximale Vielfalt an Wohnungstypen für unterschiedliche Wohn- und Lebensmodelle sowie ausdrücklich auch für Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen entstehen.
1.1 PROGRAMMATISCHE ECKPUNKTE
a) GEWÜNSCHT: VIELE UND BEZAHLBARE WOHNUNGEN
Es ist einhelliger Wunsch der Bevölkerung in St. Pauli, dass möglichst viele Wohnungen entstehen, die für eine breite Gruppe der Bevölkerung bezahlbar sind. 75 Prozent der im Beteiligungsprozess Befragten wünschten sich Mieten unter 8 EUR/qm. 50 Prozent der Gesamtfläche der Wohnnutzung soll daher als öffentlich geförderter Wohnungsbau im ersten und zweiten Förderweg entstehen.
B) GEWÜNSCHT: LANGFRISTIGE SICHERUNG BEZAHLBARER WOHNUNGEN
82 Prozent der an der Umfrage im Stadtteil beteiligten sind der Ansicht, dass es in St. Pauli nicht genug Sozialwohnungen gibt. Das spiegelt das hohe Bewusstsein des Stadtteils im Bezug auf die Knappheit an günstigem Wohnraums auf St. Pauli wider. Der Entwurf sollte daher eine maximale Vielfalt an Wohnungstypen für unterschiedliche Wohn- und Lebensmodelle sowie ausdrücklich auch für Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen bieten.
c) WOHNEN FÜR WIRKLICH ALLE
Es ist geplant, einzelne Etagen des geförderten Wohnungsbaus für spezielle Zielgruppen zu sichern und entsprechenden Trägern zu übergeben. Prozessbegleitend ist ein Beirat angedacht, der ein Vorschlagsrecht für die Belegung eines Teils der geförderten Wohnungen hat, um vordringlich Wohnraumsuchenden den Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen.
1.2 Baulich-räumliche Vorgaben
A) GESUCHT: STRUKTUREN, DIE GÜNSTIGES BAUEN ERMÖGLICHEN
Der städtebauliche Entwurf soll günstige und dennoch attraktive Wohnungen ermöglichen – zum Beispiel durch kompakte und modulare Bauweise sowie verschiedene Ausbaustufen. Es geht darum, möglichst viele Wohnungen für viele zu realisieren. Zum Beispiel kann durch die Aufteilung der Grundrisse trotz geringer Größen eine hohe Gebrauchsfähigkeit der Wohnungen entstehen.
B) DAS ZIEL: FLEXIBEL UND KOSTENSPAREND BAUEN
Die Wohnungen sollten flexibel und aneignungsfähig sein. Ein Teil der Wohnungen ist so zu planen, dass Nutzer die Ausgestaltung und den Ausbau übernehmen können, um Bau- und Mietkosten zu senken.
C) NACHBARSCHAFTLICHE QUALITÄTEN
Die Wohnbauten sollten gemeinsame Aktivitäten innerhalb eines Hauses bzw. in der Quartiersnachbarschaft fördern. Dazu zählen in den Alltagsgebrauch integrierte Kommunikations- und Begegnungszonen.
D) RAUM FÜR NEUE FORMEN DES ZUSAMMENWOHNENS
Ein Teil der Wohnungen sollte eine partizipative Mitentwicklung ermöglichen und auch experimentelle Wohnformen zulassen. Gemeint sind u.a. Wohngemeinschaften, Generationen übergreifendes Wohnen und Senioren-WG’s, in denen jeder seinen kleinen (und damit bezahlbaren) privaten Rückzugsort mit Bad, WC und Kochnische hat, es aber größere gemeinschaftliche Bereiche gibt (Verweis Zitate). Um die nachbarschaftliche Qualität zu fördern und Fläche zu sparen, sollte geprüft werden, in wie weit Nutzungen, die gemeinschaftlich realisiert werden können, aus den Wohnungen in Gemeinschaftsräume verlagert werden können. Es werden Vorschläge erwartet, die eine geschickte Flächenreduktion der privaten Flächen ermöglichen und die dennoch die Wohnqualität nicht schmälern, bzw. durch die Zuführung zu Gemeinschaftsflächen diese noch erhöhen.
E) PRIVATER FREIRAUM
Alle Wohnungen sollen über einen unmittelbar von der Wohnung zugänglichen privaten Freiraum verfügen. Gemeinschaftliche Freiräume sollen auf den Dächern und in den Zwischenräumen ermöglicht werden.
2. Quartiersbezug und Nachbarschaft
Es sollen Orte des Gemeinsamen entstehen, die die Nachbarschaft stärken und eine Vielfalt von Nutzungen ermöglichen. Das Neue soll architektonisch wie freiräumlich mit der Umgebung kommunizieren und sich in den Quartierskontext einfügen, sprich den St. Pauli Code fortsetzen. Die Öffnung zum Stadtteil soll Räume schaffen, die Kommunikation und Austausch ermöglichen. Als Übergang in die Nachbarschaft sollen insbesondere an Kastanienallee und teils Taubenstraße Nutzungen verortet werden, die sich stärker an die Nachbarschaft richten als an Touristen.
2.1 PROGRAMMATISCHE ECKPUNKTE
A) ANKERNUTZUNG FÜR DAS QUARTIER
Um den neuen Ort fest im Quartier zu verankern werden Nutzungen benötigt, die an die spezifische Qualität der Nachbarschaft als auch des ehemaligen Gebäudes anknüpfen können. Gemeint sind „Quartierankernutzungen“ die für die Bewohner wie für die Nachbarschaft als auch Besucher attraktive und essentielle Angebote an Treffpunkten, Austausch und Versorgung bieten. Gewünscht wird daher eine maximale Flexibilität der Flächen, die es erlaubt, sowohl kommerzielle, wie nicht kommerzielle Nutzungen zu realisieren.
B) TANKSTELLEN-ERSATZ UND ÜBERGANG IN DIE NACHBARSCHAFT
In Anlehnung an die ehemalige ESSO-Tankstelle soll an der Taubenstraße wieder ein rund um die Uhr geöffnetes Nahversorgungsangebot entstehen. Im Vordergrund stehen dabei ein vielfältiges Angebot für den täglichen Bedarf und die Möglichkeit zum informellen Austausch im Quartier. Geplant ist auch die Unterbringung einer lokalen Mobilitätsstation als zeitgemäßer „Tanke-Ersatz“ im Bereich der Taubenstraße mit Angeboten wie Fahrzeugausleihe, E-Fahrradtankstelle und Serviceangeboten.
- Eine Stadtteilkantine, die an die Tradition der ehemaligen Kantine der ASTRA-Brauerei anknüpft und den Bewohnern St. Paulis wie den Beschäftigten günstiges und gutes Essen bietet. Die Stadtteilkantine kann als erweitertes Angebot des 24/7 Ladens oder in Kombination mit anderen Stadtteileinrichtungen gedacht werden.
- Eine Eckkneipe als „öffentliches Wohnzimmer“: Hier geht es im Kern um den Wunsch vieler Bürger nach Orten „von St. Pauli und St. Paulianern für St. Pauli und St. Paulianer“ – ein Ort, der Tag wie Nachts für ein Stammpublikum und seine Besucher geöffnet ist.
- Ein geringer Anteil der gewerblichen Räume sollte nicht nur für Einzelhandelsgeschäfte gedacht werden, sondern auch vielseitig nutzbar sein, und somit auch für ein bis zwei kiezspezifische soziale Einrichtungen adäquate Räumlichkeiten liefern.
C) NEUE PRODUKTIONSORTE
In den gewerblichen Bereichen des Grundstücks sollen Räume für gemeinschaftliche gewerbliche Nutzungen angeboten werden – angedacht sind ein „Fab Lab“ und ein „Co-Working-Space“. Diese und weitere Konzepte einer Open Source- und der Sharing-Economy sollen einen produktiven Impuls setzen, der Initiator und Ausgangspunkt für eine innovative und dynamische Weiterentwicklung St. Paulis ist.
Ergänzend sollte ein zentraler, niedrigschwelliger Anlaufpunkt entstehen, der die gewerblichen Nutzungen ergänzt – zum Beispiel ein Café für die Nachbarschaft und Besucher. Benötigt wird ein offenes, kommunizierendes und verteilendes Herzstück der gemeinschaftlich genutzten Bereiche.
2.2 Baulich-räumliche Vorgaben
A) KÖRNUNG UND ANSCHLUSSFÄHIGKEIT
Die städtebauliche Struktur sollte von ihrer her Körnung kleinteilig sein und dabei eine hohe Varianz aufweisen. Die angestrebte Varianz im Städtebau sollte sich an folgenden, begrenzenden Regeln orientieren: der maximal verträgliChen Dichte und der punktuell möglichen maximalen Höhe von 10 Geschossen. Dabei sollte auch die spätere Realteilbarkeit berücksichtigt werden.
B) ÖFFENTLICHER RAUM /GEMEINSAME ORTE/ NACHBARSCHAFTSPLATZ
Geprüft werden sollte die Möglichkeit einer öffentlichen Durchwegung durch das Grundstück. Diese Durchwegung kann in unterschiedlicher Form erfolgen (Platz, offene Passage, Einbeziehung der Dächer). Sie sollte eine hohe Aufenthaltsqualität haben und keine Konkurrenz zu den „Schauseiten“ des Grundstücks darstellen. Unter anderem ist ein informeller Ort für Jugendliche gewünscht, der über die angelagerten Nutzungen für diese Zielgruppe interessant ist. Am häufigsten vorgeschlagen wurde eine Durchwegung oder „Jugendpassage“ als öffentlicher Raum mit Zugang von der Reeperbahn und Ausgang Richtung Taubenstrasse und/oder Kastanienallee.
C) ÜBERLAGERUNG VON ÖFFENTLICHEM, HALBÖFFENTLICHEM UND PRIVATEM RAUM
Um vielfältige Begegnungen von unterschiedlichen Benutzergruppen zu ermöglichen werden Orte gesucht, die Überlappungen und Schnittstellen zwischen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen herstellen. Diese Orte sollten durch die Nutzergruppen angeeignet werden können und die Zugänge zu diesen Räumen sollten niedrigschwellig sein.
D) ADRESSBILDUNG
Die Eingangs- und Vorbereiche sollten eine eigenständige Adresse ausbilden – als Nischen, die beispielsweise durch ihre Materialität und Profilierung Aneignungs- und Gestaltungsmöglichkeiten durch die gewerblichen Nutzer zulassen.
E) NUTZBARE DÄCHER
Die Dächer der Gebäude sollten grundsätzlich nutzbar sein. Dabei wird eine Vielfalt der Dachnutzungen angestrebt: gastronomische Nutzungen im gewerblichen Teil, aber auch in Verbindung mit Aufenthaltsbereichen, Sportangeboten, Spielflächen und Gärten. Die Nutzungsvorschläge sollten den Ideen und Wünschen nach einem spektakulären Minibolzplatz und Basketball und einer hedonistischen Entspannungslandschaft Rechnung tragen. Auch die Dächer der Wohngebäude sollen nutzbar sein, wobei die Privatheit der Wohnungen gewahrt und die Nutzungen flexibel durch die Mieter bestimmbar sein sollten.
F) ÖFFENTLICHE DURCHWEGUNG
Die öffentliche Durchwegung des Grundstücks sollte auf mehreren Ebenen angedacht werden. Der Zugang zu den Dächern könnte beispielsweise von einer öffentlichen sowie offenen Passage oder einem Nachbarschaftsplatz aus erfolgen. Über den Weg könnten auch Restaurants oder Cafés im zweiten Stock mit Blick auf den Spielbudenplatz oder mehrere Terrassen erschlossen werden.
G) ANFORDERUNG IM BEZUG AUF DEN WEITEREN PROZESSVERLAUF
Die öffentlichen Räume sollten so gestaltet sein, dass die detaillierte Ausgestaltung unter Beteiligung von BürgerInnen, KünstlerInnen und HandwerkerInnen aus dem Stadtteil erfolgen kann. Möglich sind beispielsweise Ausschreibungen bei Gewerbetreibenden im Quartier für die Ausgestaltung öffentlicher Räume. Es ist zudem angedacht, einen Teil der gewerblichen Flächen über einen kuratorischen Beirat o. Ä. für Nutzungen mit künstlerischem oder sozialem Anspruch zu vergeben. Auch für die Koordination der gemeinschaftlichen Nutzungen kann aus dem Nutzerpool erfolgen.
3. Schauseite Reeperbahn
3.1 Baulich-räumliche Vorgaben
A) VIELFALT UND WIDERSPRÜCHLICHKEIT: DIE DRAMATURGIE AN DER REEPERBAHN
Der Entwurf sollte entlang des Spielbudenplatzes ein möglichst bewegtes und vielfältiges „Gesicht“ erzeugen. Das Ensemble sollte zum Spielbudenplatz hin eine ausgeprägte Dramaturgie von Kubaturen sowie Höhlenstaffelungen erzeugen. Die Vielfalt bezieht sich zum einen auf die Bildung von unterschiedlichen „Adressen“ sowie eine hohe Dichte von Gebäudezugängen. Zum anderen soll eine möglichst hohe Varianz im Bezug auf die Kubaturen und Fassaden hergestellt werden, die ein vielfältiges Gesamtbild erzeugen. Die Kubaturen müssen insofern eine Robustheit und Modularität aufweisen, als dass sie bei Änderungen einzelner Abschnitte die Gesamtkomposition wahren. Auch die Struktur der Fassaden muss robust und wandelbar sein, und der Schnelllebigkeit und dem Improvisierten auf dem Kiez gerecht werden. Folgenutzungen müssen ebenso eigenständig nach Außen treten können, wie vorhergegangene Nutzungen.
B) EINE HOHE DICHTE AN EINGÄNGEN
Die Vielschichtigkeit zeichnet sich an der Reeperbahn durch eine dichtes Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen und eine extrem hohe Dichte an Gebäudeeingängen aus. Charakteristisch ist der glanzvolle Showauftritt neben versteckten Eingängen in Ober- und „Unterwelten“. Diesen Charakter sollte die Neubebauung widerspiegeln. Um von den hohen Besucherzahlen an der Reeperbahn zu profitieren sollten die Zugänge für gewerbliche Nutzungen in den Unter- wie Obergeschossen vom Spielbudenplatz aus erschlossen werden.
C) BESONDERE AUSBILDUNG DER ERDGESCHOSSZONE
Die Reeperbahn ist die „Schauseite“ St. Paulis und eine „Touristenmeile“ mit hoher Besucherfrequenz. Deshalb sollte das Erdgeschoss als Lauf- und auch Verweilzone zur Flaniermeile werden und eine besonders gestalteten Fassadenbereich erhalten. Das Nebeneinander von Widersprüchlichkeit soll sich als prägende Eigenschaft sowohl in der Nutzungen als auch in den Fassaden abbilden können. Eine (zumindest partielle) Überdachung durch Rücksprung oder Auskragung der Gebäudeteile oder Vordächer ist sowohl als Referenz zur Vorgängerbebauung auch als auch im Hinblick auf die Funktion der Reeperbahn als Flaniermeile mitzudenken. Auch in der Beteiligung wurden unterschiedliche Formen von Überdachungen eingebracht.
Die Erdgeschosse sollten möglichst durchgehend gewerblich genutzt werden. Sie sollten mit den öffentlichen Räumen interagieren und sie baulich wie funktional ergänzen. Es soll eine dynamische Erdgeschosszone entstehen, die Schnittstellen zwischen den Gewerbenutzungen und dem öffentlichen Raum bietet und den Austausch zwischen beiden Bereichen befördert. Eine möglichst große Fläche der Gewerbeeinheiten die Ansiedlung von kleinteiligem und St. Pauli spezifischem Gewerbe ermöglichen.
D) EIGENSTÄNDIGE SIGNAGE DER SCHAUSEITE DER REEPERBAHN
Die Schauseite an Reeperbahn sollte die Vielfalt und Drastik der Umgebung aufgreifen und eine heterogene Silhouette ausbilden. Speziell die Gewerbebetriebe benötigen Freiheiten bei der Gestaltung ihres Außenauftritts (Showfassaden, Leuchtreklame). Es sollte eine Materialität der Fassaden vorgeschlagen werden, die die für St. Pauli typische Aneignung ermöglicht und konzeptionell mit dem Urban Layer (Poster, Tags) umgehen kann.
E) KIEZAFFIN UND KLEINTEILIG (AUCH IN DER NUTZUNG)
Die Räume für die gewerblichen Nutzungen sollten so zugeschnitten sein, dass individuelle und stadtteilaffine Nutzungen möglich sind. Das bedeutet: Die Gebäudestruktur soll unterschiedliche große Unterteilungen erlauben, die in ihrer Anordnung reversibel sind. Funktionale Abschnitte sollten horizontal wie vertikal zusammengeschaltet werden können. Der Städtebau sollte „gewollte Nischen“ enthalten – und beispielsweise „Resträume“ als günstige Gewerbeflächen in Wert setzen. An weniger attraktiven Lagen sollte die Struktur kleine bis sehr kleine gewerblichen Einheiten erlauben, um ein breites Spektrum von St. Pauli-affinem Gewerbe abbilden zu können. Diese Gewerbeeinheiten sollten auch im Hinblick auf eine eventuelle gemeinsame Einrichtung von Sanitär- oder sonstigen Infrastrukturanlagen Flexibilität bieten.
F) TAG- UND NACHTLEBEN
Es ist angedacht, dass Orte, die tagsüber beispielsweise als Waschsalon genutzt werden, nachts Räume für Lesungen und Konzerte werden. In der Architektur sollte sich dies durch Neutralität und eine Aufnahmefähigkeit für vielseitige Nutzungen abbilden. Auch im „Gesicht“ des Ensembles sollte berücksichtigt werden, wie sich die unterschiedlichen Nutzungsszenarien bei Tag und bei Nacht abbilden können.
G) CLUB – UND MUSIKWELT ST. PAULI
Auf dem Grundstück sollen Nutzungen der Musikkultur und des Nachtlebens St. Paulis entstehen. Die vorgeschlagenen Räumlichkeiten sollten eine größtmögliche Varianz erzeugen, die auch Veränderungen der Größen erlaubt und damit eine unterschiedliche Bespielung garantiert. Bei der Anordnung von Clubs mit elektronisch verstärkter (Live-)Musik ist zu beachten, dass diese Bereiche schalltechnisch zu isolieren sind. Vor dem Hintergrund, dass auch die gastronomischen Betriebe in den Erdgeschossen und zum Teil auch in den Obergeschossen teilweise Livemusik anbieten oder DJs auflegen, sind geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, wie diese Bereiche von anderen sensiblen Nutzungen (Wohnnutzung) abgeschirmt werden können, beispielsweise auch durch die Anordnung von Pufferzonen.
H) ALTES NEU DENKEN/ANKNÜPFEN/ WEITERSTRICKEN
Konkret ist der früher am Standort befindlichen Club „Molotow“ wieder mit seinen Räumlichkeiten im Erd- und Kellergeschoss vorzusehen. Auch für die übrigen ehemaligen Nutzer sind adäquate Räumlichkeiten vorzuschlagen.
4. Nutzungsoptionen
Der städtebauliche Entwurf muss eine möglichst große Bandbreite an Nutzungen und Betreibermodellen abbilden können, die im weiteren Prozess gefunden werden sollen. Ein Teil der möglichen Nutzungen wird anhand des Musik-, Kultur- &Tourismus- und dem Innovationscluster illustriert.
4.1 PROGRAMMATISCHE ECKPUNKTE
A) INNOVATIONS-CLUSTER
FabLabs sind offene High-Tech-Werkstätten für alle. Die Hamburger Filiale des am MIT entwickelten FabLabs bildet mit seinen digital angesteuerten Laserdruckern, CNC-Fräsen und 3D-Druckern das technologische Zentrum eines Innovations-Clusters. Niedrigschwelliges Herzstück ist ein FabLab-Café, das mit einer Rezeption auch als Verteiler, Organisation, Raumbooking für Shared-Office, Co-Working-Space oder Waschsalon funktionieren kann und so genau die „unwahrscheinlichen Begegnungen wahrscheinlicher macht“, die Vorraussetzung sind für echte Innovation: Subkultureller Vibe trifft auf Nerd, Ingenieur in Rente, Designerin, Start-Up und jugendlichen Leichtsinn. Wichtig dabei: St. Pauli ist einer der produktivsten Entstehungsorte von Pop-Musik in Deutschland. Und die durch Musik getriebenen Subkulturen sind Taktgeber für kulturelle Trends, Mode, Design, Produktentwicklung. Das Innovationscluster ist deshalb zusammengedacht mit dem -> Musik-Cluster mit Proberäumen, Studios, produktiven Clubs, Auftrittsorten, Djs oder Live-Musik – und denkt so den entscheidenden Standortfaktor St. Paulis in die Zukunft.
B) MUSIK-CLUSTER
Der Neubau an der Reeperbahn bietet die Chance mitten auf St. Pauli ein Musikcluster entstehen zu lassen, und damit diese für St. Pauli so prägende Funktion zurück an der Reeperbahn zu verorten.
Das Musikcluster Reeperbahn könnte auf 350qm im Untergeschoss des neuen Ensemble als ein kommunikativer Komplex entstehen, der Maßstäbe setzen kann. Neben zehn Proberäume (à 15qm) und drei Studioräumen (50qm und 2x25qm) sollen hier zwei Räume für experimentelle, subkulturelle Veranstaltungen (à 20qm) entstehen nebst einem Laden für Equipmentverleih und -verkauf (60qm). Die Verknüpfung mit dem Innovations- und Kulturcluster schafft Orte des Austauschs und gewährleistet eine niedrigschwellige Zugänglichkeit für verschiedene Nutzergruppen.
Mit diesem Zusammenschluss wird eine Win-Win-Situation hergestellt. Einerseits wird ein neuer Impuls für die Hamburger Musikszene gesetzt, die Räumlichkeiten dienen als Inkubator für innerstädtische Produktion, bieten Möglichkeiten der Vernetzung, Kommunikation und Austausch der Akteure, schaffen die Bündelung und Sichtbarkeit der lokalen Szene an einem zentralem Ort, stimulieren Synergieeffekte durch unterschiedliche Sparten und Ebenen, fördern die Überlappung und Verschränkung von Konsumtion und Produktion.
Zum anderen werden positive Effekte für den Neubau, deren BewohnerInnen und BesucherInnen erzielt: anknüpfend an die ortsspezifische Historie dieses Quartiers wird die Geschichte Hamburger Musikproduktion und innovativer Veranstaltungsformate fortgeschrieben, das kulturelle Kapital der Szene überträgt sich auf den noch unbeschriebenen Gebäudekomplex und bildet eine eigene Adresse aus, die Ansiedlung des kreativen Milieus führt zu Belebung und Befruchtung der Umgebung, auch überregional lockt die subkulturelle Szene neue Besucherschichten an, stimuliert neue Öffentlichkeiten, sorgt für die vom St Pauli Code beschriebene Heterogenität und kulturelle Mischung, lädt den Ort mit Glamour , Ausstrahlungskraft und auratischem Glanz auf. Kurz: ein Nährboden kultureller Innovationen und Dynamiken kann hier gelegt werden.
C) KULTUR – UND TOURISMUS-CLUSTER
Kultur-Orte sichern langfristig die Attraktivität des neuen Gebäudes. St. Pauli braucht Ergänzung mit inhaltlicher Klasse – ein Ort für Kino, Auftritte, Performance, Theater auf diskursfähigem Niveau wäre eine wesentliche Ergänzung. Neben den beschriebenen innovativen Clustern ist das Panoptikum, eines der ältesten Wachsfigurenkabinette, seit Generationen in Familienbesitz, einer der selten gewordenen Orte an der Reeperbahn, die auch tagsüber für Tourist*innen interessant sind, gleichzeitig bereits heute ein unersetzliches Kulturgut, an dem sich die Historie populärer Unterhaltungskultur vielschichtig ablesen lässt. Ein Neubau würde dem Panoptikum erlauben, den Betrieb zeitgemäß zu erweitern, mit einem Cafebetrieb ein weiteres finanzielles Standbein aufzubauen und das Museum etwa mit rollstuhlgerechten Fahrstühlen auszustatten. Das St. Pauli Museum mit seiner umfangreichen Sammlung zur Beatles-Ära und Alternativkultur wäre eine passende Ergänzung zu Kultur- und Musikcluster und touristische Tagesattraktivität.
D) WEITERE BEISPIELHAFTE NUTZUNGEN
- Erweiterung Panoptikum mit 300 – 450 qm (Kultur-& Tourismuscluster)
- St. Pauli Museum (Kultur-& Tourismuscluster)
- mit Wiener Café als Scharnier zu beiden Museen (Kultur-& Tourismuscluster)
- Medizinisches Zentrum in den Obergeschossen
- Molotow an der Reeperbahn
- Planet Pauli an der Reeperbahn
- Veranstaltungsraum/ flexibler Kultursaal / Kino zum Beispiel an der Ecke Spielbudenplatz / Taubenstraße (Quartiersanker)
- Kaffeeklappe im ruhigeren Bereich (beispielhaft für kiezspezifische Sozialversorgung, Quartiersanker)
- Kogge Rock’n Roll Kneipe und Hotel als Übergang zur Nachbarschaft (Quartiersanker)
- 24 Stunden Einkaufsladen als Tanke-Ersatz (Quartiersanker)
- Stadteilkantine (Quartiersanker)
- Neue Mobilitätskonzepte (z.B. Elektrotankstelle, Lasten- oder Touristenfahrrad-Verleih) mit Zugang zur Tiefgarage
- Jugendpassage (Quartiersanker)
- Fab-Lab, an das „geteilte Funktionen“ und Betriebe andocken können, mit Café als niedrigschwelliger Zugangspunkt, an zentraler Stelle im Blockinneren (Quartiersanker)
- Musikstudios mit Proberäumen (Musikcluster)
E) ERFORDERLICH: ROBUSTHEIT IM BEZUG AUF MÖGLICHE NUTZUNGSÄNDERUNGEN
Der Städtebau soll so robust sein, dass er die Partizipativität des weiteren Verfahrens verarbeiten kann – also in seinen grundlegenden Qualitäten auch unvorhergesehenen Anpassungen der Nutzungen im weiteren Prozess standhält. Insbesondere gilt dies im Bezug auf den Außenauftrifft. Ein Copyright auf ein definiertes architektonisches Erscheinungsbild kann im Fall dieses Projekts nicht gewährt werden.
F) IDEEN FÜR PARTIZIPATION ERWÜNSCHT
Es ist gewünscht, dass die TeilnehmerInnen Partizipationsmöglichkeiten in der weiteren Planung und Umsetzung des Projekts aufzeigen, z.B. Bereiche, die unter Beteiligung des Stadtteils gestaltet werden könnten.